Darf ein Arbeitgeber ältere durch jüngere Angestellte ersetzen?

Die Rechnung scheint einfach: Ältere Mitarbeitende sind teurer als jüngere. Also tauscht man Ältere durch Jüngere aus. Aber geht die Rechnung auf und geht es rechtlich überhaupt?

Unser Unternehmen hat einen neuen, jungen Geschäftsführer. Er will mich (57) und weitere treue Mitarbeitende kündigen. Alle sind über 55 Jahre alt und sollen durch jüngere Arbeitskräfte ersetzt werden –er glaubt, diese seien billiger. Ein persönliches Gespräch hat er mit niemandem von uns gesucht.

Ich bin CAD-Programmierer und auf dem neusten Stand in meinem Beruf. Ich kann es nicht fassen, dass man uns einfach so loswerden will, zudem mit einer Kündigungsfrist von nur 3 Monaten. Bis vor einem Jahr habe ich mich als Arbeitnehmervertreter selbst noch dafür eingesetzt, dass Mitarbeitende bis zur Pensionierung ihren Job behalten können.

Darf der Geschäftsführer ältere Mitarbeitende einfach so gegen jüngere austauschen? Bei uns gilt der GAV der MEM-Industrie.

Hans J.

 

Eine Entlassung mit 57 Jahren ist für Hans ein schwerer Schlag. Die Erwerbslosigkeit der 55- bis 65-jährigen steigt nämlich in der Schweiz seit 2010 gemäss ILO-Statistik stetig an. Obwohl er in seinem Berufsfeld fit ist, dürfte es für Hans schwieriger als für Jüngere sein, einen neuen Job zu finden. Er könnte auch für längere Zeit arbeitslos sein, wie das bei älteren Berufstätigen oft der Fall ist.

Fehlende Weitsicht

Dass der neue Geschäftsführer im Betrieb von Hans Arbeitskräfte austauschen will, zeugt angesichts des akuten Fachkräftemangels von fehlender Weitsicht. Genügend junge Fachkräfte findet er wohl nur mit Glück. Viel gescheiter würde er die bestehenden älteren Fachkräfte möglichst lange an das Unternehmen binden.

Zu kurz denkt der Geschäftsführer auch, wenn er davon ausgeht, dass ältere Mitarbeitende grundsätzlich teurer sind. Er vergisst dabei, dass sie viel mehr Berufserfahrung und oft ein sehr hohes Qualitätsbewusstsein haben. Dass sie weniger leistungsfähig sind als jüngere Arbeitskräfte ist längst widerlegt.

Mit der Kündigung von Hans verliert der Geschäftsführer einen Leistungsträger, auf den er bis zu dessen Pensionierung hätte zählen können.

Kündigung aufgrund des Alters ist missbräuchlich

Wie sieht aber die rechtliche Situation aus? Das Obligationenrecht gewährt gemäss Art. 336 Abs. 1 lit. a einen Schutz vor missbräuchlichen Kündigungen, die ohne Rechtsfertigungsgrund zum Beispiel aufgrund des Alters ausgesprochen werden.

Das heisst für Hans: Wenn das Alter das Motiv der Kündigung war, kann er sich dagegen mittels einer Klage zur Wehr setzen. Er muss bereits während der Kündigungsfrist bei Arbeitgeber Einsprache erheben. Dies muss er bis spätestens am letzten Tag des Arbeitsverhältnisses tun.

Das Verfahren geht immer zuerst an eine Schlichtungsstelle. Ist die Schlichtung erfolglos, wird eine Klagebewilligung ausgestellt. Damit kann eine Angestellte oder ein Angestellter vor Arbeitsgericht klagen.

Entschädigung von maximal 6 Monatslöhnen

Hans müsste im Rechtsstreit beweisen können, dass sein Arbeitgeber ihm aufgrund des Alters gekündigt hat. Der Arbeitgeber müsste ihm, falls Hans den Rechtsstreit gewinnt, eine Entschädigung von maximal 6 Monatslöhnen bezahlen.

Diese Strafe des Arbeitgebers ist für Hans allerdings höchstens ein schwacher Trost. Seine Arbeitsstelle verliert er trotzdem. Sein Schaden ist um ein Vielfaches höher als diese Ausgleichszahlungen.

Gerichte verlangen schonende Ausübung des Kündigungsrechts

Das Bundesgericht hat in seinen Entscheiden mehrmals bestätigt, dass Arbeitgeber das Kündigungsrecht schonend ausüben sollen. Im Zusammenhang mit Alterskündigungen haben sie speziell hohe Fürsorgepflichten.

Ältere Mitarbeitende gehören gemäss Bundesgericht zu einer «besonderen Arbeitnehmerkategorie». Dies, weil ihre Kündigung besonders gravierende Auswirkungen haben kann.

Gemäss den Gerichten stehen die Arbeitgeber in der Pflicht, sozialverträglichere Lösungen als die Kündigung zu suchen. Sie sollen älteren Mitarbeitenden ein besonderes rechtliches Gehör sowie eine «zweite Chance» gewähren. Hans hat demzufolge Anspruch auf rechtzeitige Information und Anhörung. Sein Arbeitgeber ist verpflichtet, nach Lösungen zu suchen, um ihn weiter zu beschäftigen.

Besonderer Schutz dank GAV MEM

Der Art. 25.5 des Gesamtarbeitsvertrags der MEM-Industrie widmet sich ganz dem Schutz älterer Mitarbeitender. Da er im Betrieb von Hans angewendet wird, sind seine Bestimmungen umzusetzen.

Gemäss Art. 25.5 Abs. 3 ist der Arbeitgeber verpflichtet, ältere und langjährige Mitarbeitende sozial verantwortlich zu behandeln. Das verlangt insbesondere bei Kündigungen eine erhöhte Sorgfaltspflicht.

Zwingendes Gespräch und zusätzliche Kündigungsfrist

Will ein Arbeitgeber Mitarbeitende ab Alter 55 kündigen, muss gemäss GAV rechtzeitig und zwingend ein Gespräch stattfinden zwischen der Geschäftsleitung oder der nächsthöheren vorgesetzten Stelle und den betroffenen Mitarbeitenden. An diesem werden sie informiert und angehört. Gemeinsam ist nach Möglichkeiten zu suchen, das Arbeitsverhältnis weiterzuführen. Erst nach diesem Gespräch wird über eine allfällige Kündigung entschieden.

Mitarbeitende ab dem 55. Altersjahr und mit mindestens 10 Dienstjahren erhalten zudem zusätzlich zur vertraglichen einen weiteren Monat Kündigungsfrist. Für Hans gelten also vier und nicht nur drei Monate Kündigungsfrist.

Wäre Hans immer noch Arbeitnehmervertreter, hätte er auch vom verstärkten Kündigungsschutz profitieren können, der gemäss Art. 38.5 GAV MEM für diese Personen gilt.

Sich wehren mit Begleitung durch Angestellte Schweiz

Das Vorgehen des Arbeitgebers von Hans ist nicht korrekt. Es verletzt zwei Bestimmungen des GAV. Erstens ist die Kündigungsfrist falsch und zweitens fand kein Gespräch zwischen ihm und der Geschäftsleitung statt. Hans hat das Recht, sich gegen seine Kündigung zu wehren. Angestellte Schweiz rät ihm, sich dabei vom Rechtsdienst begleiten zu lassen.

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