Wenn es sich nicht lohnt, mehr zu arbeiten

Für viele Paare mit kleinen Kindern ist ein zweites Einkommen oder ein höheres Pensum nicht attraktiv: Die Kosten für die Kinderbetreuung belasten das Familienbudget. Das ist schädlich für die Volkswirtschaft.

Ein Drittel der Kinder unter 13 Jahren wird gemäss dem Bundesamt für Statistik teilweise von den Grosseltern betreut. Wer Glück hat und ihnen die Kinder anvertrauen kann, entgeht einer grossen finanziellen Belastung. Die Kosten für die Kinderbetreuung sind in der Schweiz nämlich aussergewöhnlich hoch.

Konkret heisst das: Ein zweites Einkommen oder ein höheres Arbeitspensum führen zu zusätzlichen Kosten für die Kinderbetreuung. Das Haushaltseinkommen verändert sich kaum – oder sinkt im schlechtesten Fall sogar.

Die Schweiz schneidet schlecht ab

«Die Schweiz ist in Sachen Finanzierung von Fremdbetreuung ein Entwicklungsland», stellt Katrin Bertschy in einem Gespräch mit dem Magazin elleXX fest. Sie ist GLP-Nationalrätin und Co-Präsidentin des Frauen-Dachverbands Alliance F. Sie stört sich daran, dass immer noch ein patriarchales Familienmodell aus der Nachkriegszeit unterstützt werde. Die daraus entstandenen Rahmenbedingungen würden Frauen zwingen, auf ihren Beruf oder zumindest auf ihr Wunschpensum zu verzichten.

Gemäss einem Bericht der Eidgenössischen Kommission für Familienfragen (EKFF) gibt die öffentliche Hand in der Schweiz weniger Geld für Kitas und Tagesfamilien aus als alle anderen Länder der OECD, konkret bloss 0,4 Prozent des Brutto-Inlandprodukts (BIP). Dem Spitzenreiter Dänemark ist die frühkindliche Betreuung fünf Mal mehr wert: 2 Prozent des BIP wird dort eingesetzt.

Die Schweiz übernimmt im Vergleich auch den geringsten Anteil an den Betreuungskosten: Im Schnitt sind es 40 Prozent, je nach Kanton kann es substanziell weniger sein. Die anderen OECD-Länder gewähren 65 bis 98 Prozent.

Eine Rechnung mit vielen Variablen

Kompliziert wird es nicht nur durch die kantonalen Unterschiede. Auch von Gemeinde zu Gemeinde sind die Finanzierungsanteile sehr unterschiedlich.

Die EKFF hat den Tarif für Kindertagesstätten in 13 Gemeinden untersucht:

  • Der tiefste Tarif liegt zwischen 4 und 42 Franken.
  • Der höchste Tarif liegt zwischen 42 und 128 Franken.

Dasselbe gilt für die Steuerabzüge:

  • Eine Familie im Wallis kann 3000 Franken pro Jahr und Kind geltend machen.
  • In den Kantonen St. Gallen und Genf gilt ein Abzug von 25 000 Franken.
  • Im Kanton Uri ist der volle Betrag der Kinderbetreuung abzugsfähig.

Diese Zahlen haben einen grossen Einfluss auf das Budget einer Familie. Je nach Wohnort gibt ein Paar mit zwei Kindern zwischen 3 und 15 Prozent ihres Haushaltsbudgets für drei Betreuungstage pro Woche aus. Bei einem alleinerziehenden Elternteil kann der Anteil bis zu 20 Prozent betragen.

Weiter sind Tarife von Betreuungseinrichtungen meist vom Einkommen der Eltern abhängig. Schon geringe Veränderungen im Einkommen können grosse Auswirkungen haben, und diese belasten besonders Familien im Mittelstand überdurchschnittlich.

Die Arbeitskraft fehlt in den Unternehmen

Wenn viele Berufstätige ganz oder zum Teil auf eine Anstellung verzichten, hat das dramatische Folgen für die Volkswirtschaft. Eine Analyse von Dynajobs in Zusammenarbeit mit Angestellte Schweiz zeigt: Bis 2025 fehlen in unserem Land 365’000 Fachkräfte, bis 2035 werden es noch viel mehr sein.

Traditionell versuchen die Unternehmen, im Ausland zu rekrutieren. Doch die Arbeitskräfte werden auch in der Heimat dringend gebraucht, das Problem beschränkt sich nicht auf die Schweiz. Sinnvoller wäre es, das Potenzial im Inland besser auszuschöpfen. Zum Beispiel bei Arbeitskräften, die bisher nicht oder nur in Teilzeit angestellt sind.

Der Arbeitgeberverband erkennt die Zeichen der Zeit und fordert im Artikel bei elleXX: «Der Staat muss Rahmenbedingungen in Form von steuerlichen Anreizen und bedarfsgerechten, qualitativ guten und finanziell attraktiven Kinderbetreuungsangeboten sicherstellen und finanzieren». Der Arbeitgeberverband setzt sich seinen Mitgliedern gegenüber für eine bessere Vereinbarkeit ein.

Was kann sich ändern?

An Ideen gegen das Malaise mangelt es nicht. In einer Motion vom Juni 2021 verlangt die SP-Nationalrätin Min-Li Marti, dass die Kosten für die familienexterne Kinderbetreuung ein Haushaltsbudget höchstens mit 10 Prozent belasten dürfen. Der Bundesrat empfiehlt allerdings, den Vorschlag abzulehnen.

Für Kathrin Bertschy (GLP) sind Kitas schlichtweg systemrelevant. Sie fordert einen nationalen Fonds, in den Bund, Kantone und Gemeinden anteilmässig einzahlen. Diese Gelder sollen dafür eingesetzt werden, dass die Anteile der Eltern an den Kita-Kosten sich auf 30 bis 50 Franken pro Kind und Betreuungstag beschränken.

Die EKFF gibt in ihrem Bericht ebenfalls eine ganze Reihe von Handlungsempfehlungen:

  • Ein Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz soll gesetzlich verankert werden, ebenso Finanzhilfen des Bundes zur Senkung der Elterntarife.
  • Betreuungskosten sollen auf Bundes- und Kantonsebene vollumfänglich von den Steuern abgezogen werden können.
  • Bei der Tarifberechnung soll die Familiengrösse einbezogen werden.
  • Als Ergänzung zum Mutter- und Vaterschaftsurlaub soll es eine Elternzeit geben.
  • Betreuungsplätze sollen nicht mehr rationiert werden.

Natürlich sind die Vorschläge politisch umstritten. Aber es besteht Handlungsbedarf, und es ist dringend. Parlament und Bundesrat müssen sich endlich zusammenraufen und rasch umsetzbare Lösungen erarbeiten.

Autor*in

Hansjörg Schmid

Hansjörg Schmid

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